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Zum Thema Arbeitsrecht
- Gekündigte Betriebsratswahlinitiatorin: Arbeitsgericht lehnt dreifach erfolgte außerordentliche Kündigungen ab
- Gleichbehandlungsfrage: EuGH muss selbstbestimmte Teilhabe mit Gleichbehandlungsgrundsätzen im Arbeitsrecht abwägen
- Nur bei Unverhältnismäßigkeit: EuGH konkretisiert Bedingungen zur Probezeitkündigung schwerbehinderter Arbeitnehmer
- Unterschrift ohne Bedenkzeit: Keine Pflichtverletzung, wenn Aufhebungsvertrag von sofortiger Annahme des Angebots abhängt
- Unwirksame Betriebsratswahl: Keine Briefwahlpflicht für unmittelbar an umzäuntes Werksgelände angrenzende Betriebsstätten
Die Mitglieder des Wahlvorstands einer Betriebsratswahl genießen besonderen Kündigungsschutz. Ignoriert der Arbeitgeber diesen Sonderkündigungsschutz, können betroffene Arbeitnehmer dagegen klagen. Im folgenden Fall des Arbeitsgerichts Düsseldorf (ArbG) konnte eine entsprechende Kündigungsschutzklage gleich dreifach punkten.
Der Arbeitgeber hatte der klagenden Beschäftigten dreimal erfolglos außerordentlich gekündigt. Mitte August hatte die Arbeitnehmerin gemeinsam mit zwei Kolleginnen zu einer Betriebsversammlung eingeladen. Ziel der Versammlung war es, einen Wahlvorstand für eine Betriebsratswahl zu wählen. Der Arbeitgeber kündigte daraufhin der Arbeitnehmerin fristlos, hilfsweise fristgerecht wegen wiederholten Zuspätkommens trotz einschlägiger Abmahnung. Die Beschäftigte wehrte sich mit einer Kündigungsschutzklage.
Das ArbG hielt die fristlose Klage für unwirksam, da Verspätungen grundsätzlich keine fristlose Kündigung rechtfertigen. Das Gericht entschied zudem, dass die hilfsweise ausgesprochene fristgemäße Kündigung ebenso unwirksam war, weil die Arbeitnehmerin als Initiatorin der Betriebsratswahl besonderen Kündigungsschutz genießt.
Zu der Betriebsversammlung, in der der Wahlvorstand gewählt werden sollte, erschienen rund 15 Beschäftigte. Sie passten allerdings wegen der Corona-Vorschriften nicht alle in den zu diesem Zweck gemieteten Raum. Der Arbeitgeber hatte zwar kurzfristig andere Räume angeboten - die Arbeitnehmerin lehnte dieses Angebot jedoch ab, so dass die Betriebsversammlung deshalb nicht stattfand. Deshalb erhielt die Arbeitnehmerin eine weitere Kündigung. Und auch diese Kündigung scheiterte vor dem ArbG, da der Arbeitgeber keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für die behaupteten Absichten der Arbeitnehmerin vorbringen konnte. Dann kam die dritte Kündigung wegen eines Verstoßes gegen ein Hausverbot. Im Dezember hängte die später erneut gekündigte Beschäftigte ohne vorherige Absprache mit dem Arbeitgeber im Backoffice der Filiale eine neue Einladung zu einer Wahlversammlung aus. Hierauf reagierte der Arbeitgeber erneut mit einer fristlosen Kündigung. Diese begründete er damit, dass die Arbeitnehmerin ein Hausverbot missachtet und einen Hausfriedensbruch begangen habe. Auch diese Kündigung scheiterte. Das Gericht ging zwar von einer Verletzung des Hausrechts aus, die jedoch nicht so schwerwiegend war, dass eine fristlose Kündigung gerechtfertigt gewesen wäre. Mit einer Abmahnung wäre das Verhalten vielmehr ausreichend sanktioniert worden.
Hinweis: Gegen eine Kündigung muss zwingend binnen drei Wochen eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht eingelegt werden. Wird die Frist verpasst, beendet die Kündigung in den allermeisten Fällen das Arbeitsverhältnis.
Quelle: ArbG Düsseldorf, Urt. v. 23.02.2022 - 10 Ca 4119/21
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 05/2022)
Dieser Fall zeigt sehr schön, dass sich Diskriminierungsschutz und Behindertenschutz widersprechen können. Das hier mit einem Urteil beauftragte Bundesarbeitsgericht (BAG) hat diese Zwickmühle nun an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) weitergeleitet. Und dieser muss jetzt darüber befinden, was mehr zählt: die selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen nach Vorgaben der Vereinten Nationen oder die Vorgaben des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), die es Arbeitgebern untersagt, Bewerber ihres Alters wegen zu benachteiligen.
Mit einem Stellenangebot suchte ein Assistenzdienst eine Mitarbeiterin. Der Assistenzdienst bot Menschen mit Behinderungen Beratung, Unterstützung sowie Assistenzleistungen in verschiedenen Bereichen an. Der Assistenzdienst suchte "weibliche Assistentinnen" in allen Lebensbereichen des Alltags, die "am besten zwischen 18 und 30 Jahre alt sein" sollten. Assistenzleistungen werden für Menschen mit Behinderungen nach § 78 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltags einschließlich der Tagesstrukturierung erbracht. Sie umfassen insbesondere Leistungen für die allgemeinen Erledigungen des Alltags. Eine 1968 geborene Frau bewarb sich auf die Stellenausschreibung - erfolglos. Als sie nicht genommen wurde, verklagte sie den Assistenzdienst auf Zahlung einer Entschädigung. Sie hat die Auffassung vertreten, der Assistenzdienst habe sie im Bewerbungsverfahren entgegen den Vorgaben des AGG wegen ihres Alters benachteiligt und sei ihr deshalb nach § 15 Abs. 2 AGG zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet. Die ausdrücklich an Assistentinnen im Alter "zwischen 18 und 30" Jahren gerichtete Stellenausschreibung begründe die Vermutung, dass sie bei der Stellenbesetzung wegen ihres höheren Alters nicht berücksichtigt und damit wegen ihres Alters diskriminiert worden sei. Die unterschiedliche Behandlung wegen des Alters sei bei Leistungen der Assistenz nach § 78 SGB IX unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gerechtfertigt.
Das BAG meinte, den EuGH zu der Frage anhören zu müssen. Der EuGH soll die folgende Frage beantworten: Kann nach den EU-Richtlinien und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie nach Art. 19 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters gerechtfertigt sein?
Denn der Assistenzdienst sah die Sache anders als die Bewerberin. Er meinte, eine Ungleichbehandlung wegen des Alters sei nach dem AGG gerechtfertigt. Bei der Beurteilung einer etwaigen Rechtfertigung seien nicht nur die Bestimmungen des Übereinkommens der UN-BRK zu berücksichtigen. Vielmehr sei es auch so, dass die eine persönliche Assistenz in Anspruch nehmenden Leistungsberechtigten nach § 8 Abs. 1 SGB IX ein Wunsch- und Wahlrecht auch im Hinblick auf das Alter der Assistenten/innen hätten. Nur so sei eine selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu erreichen.
Hinweis: Die Antwort des EuGH bleibt abzuwarten. Es kann durchaus nachvollzogen werden, dass für eine Arbeitsassistenz ein bestimmtes Alter erforderlich sein kann. Dabei wird es sicherlich - wie so oft - auf den jeweiligen Einzelfall ankommen.
Quelle: BAG, Beschl. v. 24.02.2022 - 8 AZR 208/21 (A)
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 05/2022)
Der besondere Schutz schwerbehinderter Arbeitnehmer sieht vor, dass diesen nach sechsmonatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses nur noch mit behördlicher Zustimmung gekündigt werden kann. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) war nun mit der Frage betraut worden, ob und welcher Schutz für die ersten sechs Monate eines Arbeitsverhältnisses gilt.
Ein Arbeitgeber stellte einen neuen Facharbeiter ein. Kurz nachdem dieser seine neue Stelle angetreten hatte, wurden bei ihm so schwere Herzprobleme festgestellt, dass eine Beschäftigung auf dem ursprünglich für ihn vorgesehenen Arbeitsplatz unmöglich war. Der Arbeitgeber versetzte ihn deshalb noch innerhalb der Probezeit auf einen anderen Arbeitsplatz, wo er als Lagerist arbeitete. Allerdings erschien dem Arbeitgeber die Beschäftigung auf dem Ersatzarbeitsplatz offensichtlich auch zu unsicher. Er sprach deshalb rechtzeitig eine Probezeitkündigung aus und begründete diese damit, dass eine Weiterbeschäftigung auf dem geschuldeten Arbeitsplatz aufgrund der Behinderung unmöglich erscheine. Der Mitarbeiter wehrte sich gegen die Kündigung und klagte bis zum EuGH.
Der EuGH entschied, dass dem Arbeitnehmer zu Unrecht gekündigt worden war. Arbeitgeber müssen geeignete und im konkreten Fall erforderliche Maßnahmen ergreifen, um Menschen mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufs, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz käme nur in Betracht, wenn die Maßnahmen einen Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten würden. Der Arbeitgeber muss einen Arbeitsplatz deshalb so einrichten, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer seine Arbeit ausführen kann. Die Richter wiesen zudem darauf hin, dass ein Arbeitgeber verpflichtet werden könne, einen Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz einzusetzen, wenn dieser aufgrund einer entstandenen Schwerbehinderung seine ursprüngliche Tätigkeit langfristig nicht mehr ausüben könne.
Hinweis: Schwerbehinderte oder gleichgestellte Arbeitnehmer haben nach dieser Entscheidung des EuGH wesentlich bessere Karten, gegen eine Probezeitkündigung vorzugehen. Wie die Erfolgsaussichten im Einzelfall sind, kann ein Rechtsanwalt beurteilen. Arbeitgeber sollten sich in jedem Fall bei der Kündigung eines schwerbehinderten Mitarbeiters zuvor beraten lassen.
Quelle: EuGH, Urt. v. 10.02.2022 - C-485/20
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 05/2022)
Wird Arbeitnehmern ein Aufhebungsvertrag vorgelegt mit der Aufforderung, ihn sofort zu unterschreiben, ist das häufig nicht in Ordnung. Doch wer sich dagegen nicht unmittelbar wehrt und dennoch unterschreibt, dem kann auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) am Ende wenig weiterhelfen.
Eine Arbeitnehmerin war als Teamkoordinatorin im Verkaufsbereich einer Arbeitgeberin tätig. Ihr wurde vorgeworfen, sie habe unberechtigt Einkaufspreise in der EDV abgeändert und reduziert, um somit einen höheren Verkaufsgewinn vorzuspiegeln. Der Geschäftsführer der Arbeitgeberin und deren Anwalt führten mit der Arbeitnehmerin ein Gespräch und trugen die entsprechenden Vorwürfe vor. Schließlich unterzeichnete die Arbeitnehmerin nach einer zehnminütigen Pause, in der die drei Anwesenden stillschweigend am Tisch saßen, den von der Arbeitgeberin vorbereiteten Aufhebungsvertrag. Die Arbeitnehmerin hat später den Aufhebungsvertrag wegen einer widerrechtlichen Drohung angefochten und machte den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geltend. Dabei behauptete sie, ihr seien für den Fall der Nichtunterzeichnung des Aufhebungsvertrags eine fristlose Kündigung und eine Strafanzeige angedroht worden. Außerdem wäre ihrer Bitte für eine längere Bedenkzeit nicht entsprochen worden.
Das BAG entschied jedoch, dass der Aufhebungsvertrag wirksam war. Selbst wenn es so gewesen wäre, wie die Arbeitnehmerin behauptete, fehlte es an der Widerrechtlichkeit der behaupteten Drohung. Ein verständiger Arbeitgeber dürfe durchaus sowohl eine außerordentliche fristlose Kündigung als auch die Erstattung einer Strafanzeige ernsthaft in Erwägung ziehen. Das gelte sogar für diesen Fall, in dem der Arbeitnehmerin weder eine Bedenkzeit verbleibe noch sie weiteren Rechtsrat einholen könne.
Hinweis: Arbeitnehmer sollten sich also vor der Unterschrift unter einen Aufhebungsvertrag nicht unter Druck setzen lassen. Egal, wie der Arbeitgeber auch reagiert, eine Unterschrift sollte erst nach dem Einholen weiteren Rechtsrats erfolgen.
Quelle: BAG, Urt. v. 24.02.2022 - 6 AZR 333/21
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 05/2022)
Dass auch bei großen Industrieunternehmen eine Betriebsratswahl in die Hose gehen kann, mag die einen trösten und andere entrüsten. Doch das Urteil des mit dem folgenden Fall betrauten Bundesarbeitsgerichts (BAG) ist durchaus beispielhaft, sollte einmal mehr die Frage anstehen, was "räumlich weit vom Hauptbetrieb" bedeutet, wenn ein Betriebsrat aufgrund der Entfernung Briefwahl anordnen möchte.
Ein großer Automobilkonzern betrieb ein Werk zur Herstellung von Nutzfahrzeugen. Das mehrere Hektar große Werksgelände war von einem geschlossenen Werkszaun umgeben, der Zugang erfolgte durch vom Werkschutz kontrollierte Tore. Außerhalb des umzäunten Geländes befanden sich weitere Betriebsstätten, die dem Hauptwerk organisatorisch zugeordnet waren und von dem dort gewählten Betriebsrat vertreten wurden. Für die Betriebsratswahl war ein Wahlvorstand gewählt worden, der nun Folgendes entschieden hatte: Es sollte für die Arbeitnehmer sämtlicher außerhalb des geschlossenen Werksgeländes liegender Betriebsstätten ausschließlich die schriftliche Stimmabgabe erfolgen, der Betriebsrat sollte also per Briefwahl gewählt werden. Drei der davon betroffenen Betriebsstätten liegen unmittelbar angrenzend an das umzäunte Werksgelände. Nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses hatten neun wahlberechtigte Arbeitnehmer die Wahl angefochten. Sie meinten, die Briefwahl hätte nicht für sämtliche außerhalb des geschlossenen Werksgeländes liegende Betriebsstätten beschlossen werden dürfen.
Das BAG erklärte die Betriebsratswahlen für unwirksam. Der Wahlvorstand kann zwar die schriftliche Stimmabgabe für räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernte Betriebsteile und Kleinstbetriebe beschließen (§ 24 Abs. 3 der Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz). Hier war der Wahlvorstand jedoch zu Unrecht davon ausgegangen, dass diese Voraussetzung auch bei den drei unmittelbar an das umzäunte Werksgelände angrenzenden Betriebsstätten erfüllt war - selbst unter Berücksichtigung eines ihm zustehenden Beurteilungsspielraums. Die Wahl war daher zu Recht anfechtbar, da dieser Fehler geeignet sei, das Wahlergebnis zu beeinflussen.
Hinweis: Die Regelungen zur Wahl eines Betriebsrats finden Sie im Betriebsverfassungsgesetz und in der dazugehörigen Wahlordnung. Ganz einfach sind die Regelungen nicht zu verstehen - insbesondere, wenn Wahlen in größeren Unternehmen anstehen. Die entsprechenden Wahlvorstände haben allerdings das Recht, sich rechtlich beraten zu lassen und gegebenenfalls auch entsprechende Schulungen zu besuchen.
Quelle: BAG, Beschl. v. 16.03.2022 - 7 ABR 29/20
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 05/2022)