Beruf und Berufung

Einseitig empfangsbedürftige Willenserklärung: Eine Kündigungsrücknahme ist in den seltensten Fällen durchsetzbar

Ein Arbeitnehmer hatte sein Arbeitsverhältnis gekündigt und es sich dann jedoch wieder anders überlegt. Ob er seine Kündigung einfach so einseitig wieder zurückziehen und weitermachen durfte wie bisher, musste im Folgenden das Landesarbeitsgericht Thüringen (LAG) beantworten.

Ein langjährig beschäftigter Arbeitnehmer kündigte sein Arbeitsverhältnis mit den folgenden Worten: “Hiermit kündige ich zum nächstmöglichen Zeitpunkt unter Einhaltung der vertraglich festgelegten Frist meine Anstellung in Ihrem Unternehmen (…).” Elf Tage später wandte er sich per E-Mail an die Personalabteilung des Arbeitgebers: “Ich ziehe hiermit meine Kündigung (…) zurück (…). Sag mir bitte Bescheid, ob es okay ist für die Geschäftsleitung und sie die Rücknahme akzeptieren.” Wenige Tage später schrieb er nochmals. Auf beide E-Mails antwortete der Arbeitgeber nicht. Wenige Tage vor dem Beendigungstermin bestätigte der Arbeitgeber dann die Kündigung. Der Arbeitnehmer klagte auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis fortbesteht.

Seine Klage hatte vor dem LAG jedoch wenig Erfolg. Denn das Arbeitsverhältnis war durch die Arbeitnehmerkündigung beendet worden. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses darüber hinaus wurde nicht vereinbart. Auch die Rücknahme der Kündigung ändert daran nichts, da diese als einseitig empfangsbedürftige Willenserklärung nicht einseitig zurückgenommen werden kann.

Hinweis: Arbeitnehmer sollten sich also vor dem Ausspruch einer Kündigung genau überlegen, ob das wirklich der richtige Schritt ist. Ein Zurück gibt es in den seltensten Fällen.

Quelle: LAG Thüringen, Urt. v. 17.01.2023 – 5 Sa 243/22

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(aus: Ausgabe 06/2023)


Folgen der Freistellung: Wer Mitarbeitern vertragsmäßige Beschäftigung verweigert, muss sie zur Konkurrenz ziehen lassen

Wer Mitarbeiter möglichst schnell per Freistellung loswerden möchte, sollte sich auch damit abfinden, dass die entsprechenden Arbeitnehmer zur direkten Konkurrenz wechseln könnten. Dass das eine nicht ohne das andere geht, musste im Folgenden das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) klarstellen.

Ein Unternehmen bekam eine neue Geschäftsführerin. Diese entband quasi über Nacht ihre Stellvertreterin von ihren Aufgaben und untersagte ihr die Kommunikation mit Mitarbeitern und Geschäftspartnern. Als Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag erfolglos blieben, verlangte die kaltgestellte Arbeitnehmerin durch ihren Anwalt, vertragsgemäß beschäftigt zu werden. Der Arbeitgeber hatte jedoch bereits seine Geschäftspartner und Mitarbeiter informiert, dass die ehemals stellvertretende Geschäftsführerin von ihren Aufgaben entbunden sei. Diese kündigte deshalb außerordentlich fristlos und wechselte zur Konkurrenz. Das wiederum wollte der Arbeitgeber ihr bis zum Ablauf der hier maßgeblichen Kündigungsfrist von sechs Monaten per Gericht untersagen.

Damit kam der Arbeitgeber jedoch nicht durch. Ein sofortiger Wechsel war in Augen des LAG durchaus zulässig. Der Arbeitgeber hatte seine arbeitsvertraglichen Pflichten grob verletzt, indem er sich weigerte, die Mitarbeiterin vertragsgemäß zu beschäftigen. Deren außerordentliche Kündigung war deshalb wirksam. Und sobald ein Arbeitsverhältnis beendet ist, sind Konkurrenztätigkeiten grundsätzlich erlaubt.

Hinweis: Arbeitgeber sind in aller Regel zu einer Freistellung von der Arbeitsleistung berechtigt, wenn das Arbeitsverhältnis gekündigt ist. Andernfalls gibt es nicht nur ein Recht auf Beschäftigung für Arbeitnehmer, sondern auch die Pflicht zur Beschäftigung für den Arbeitgeber.

Quelle: LAG Köln, Urt. v. 24.01.2023 – 4 SaGa 16/22

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(aus: Ausgabe 06/2023)


Folgenreiches “Späßchen”: Entblößte Genitalien und angedeutetes Ins-Auto-Pinkeln führen auch auf dem Bau zur Kündigung

Dass manche Berufsbranchen eine derbe Sprache und einen noch derberen Humor für sich beanspruchen, gehört zu einer eher überholten Tradition. Dass heutzutage auch auf dem Bau “Späße” am Arbeitsplatz mehr als nur unpassend sein und entsprechend eine Kündigung nach sich ziehen können, beweist dieser Fall, der vor dem Arbeitsgericht Weiden (ArbG) landete.

Ein Maurer hatte erst eine Tür des Autos eines Arbeitskollegen und dann seine Hose geöffnet, um im Fahrzeug offensichtlich seine Notdurft zu verrichten. Als er bemerkte, dass er dabei beobachtet wurde, brach er sein Vorhaben ab. Als sein Arbeitgeber von dem Vorfall erfuhr, kündigte er dem Mitarbeiter außerordentlich fristlos. Dagegen wehrt sich der Maurer mit einer Kündigungsschutzklage. Er habe sich zwar tatsächlich an das Auto gestellt, die Tür vorher geöffnet und so getan, als ob er die Hose öffnen und reinpinkeln wollte. Dies sei aber nur eine Gaudi bzw. einfach ein “derber Spaß” gewesen. Der Maurer habe weder seine Hose geöffnet noch vorgehabt, sie zu öffnen, und er habe natürlich auch nicht in das Fahrzeug pinkeln wollen.

Die Richter sahen das anders. Zwar war die fristlose Kündigung unwirksam, die fristgemäße Kündigung beendete  jedoch das Arbeitsverhältnis rechtmäßig. Es lag grundsätzlich in dem Verhalten des Maurers ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung. Aber im Rahmen der Interessenabwägung kamen die Richter zu dem Urteil, dass eine fristgemäße Kündigung in diesem Fall angemessen gewesen wäre. Das Entblößen der Genitalien und das Berühren der Fahrerinnentür des Pkw bewerteten die Richter als sexuelle Belästigung. Zugunsten des Maurers war zu bewerten, dass er nicht heimlich vorging und sein eigentliches Vorhaben nicht umsetzen wollte.

Hinweis: Was für den einen ein Spaß ist, stellt für den anderen eine Beleidigung oder manchmal sogar eine sexuelle Belästigung dar. Das dürfen Arbeitgeber nicht tolerieren und müssen einschreiten. Deshalb sollten sich Arbeitnehmer ganz genau überlegen, wie weit sie mit ihren “Späßen” am Arbeitsplatz gehen.

Quelle: ArbG Weiden, Urt. v. 13.03.2023 – 3 Ca 556/22

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(aus: Ausgabe 06/2023)


Verstoß gegen AGG: Stellenabsage wegen Bevorzugung “flinker Frauenhände” wird teuer

Nicht nur Stellenanzeigen sollten geschlechtsneutral sein. Auch bei der Absage von Bewerbern müssen Arbeitgeber aufpassen, sich nicht der Benachteiligung von Bewerbern im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes verdächtig zu machen. Im folgenden Fall sah das Landesarbeitsgericht Nürnberg (LAG) ein solches gesetzeswidriges Verhalten gegeben. Denn die Sachlage war entsprechend klar, da es sich der Arbeitgeber nicht nehmen ließ, den Ablehnungsgrund deutlich auszuformulieren.

Ein Mann hatte sich auf eine Stelle als Bestücker für Digitaldruckmaschinen beworben. In der schriftlichen Absage wurde ihm dann von dem Arbeitgeber mitgeteilt, dass “die sehr kleinen, filigranen Teile (…) eher etwas für flinke Frauenhände” wären. Der Mann fühlte sich wegen seines Geschlechts benachteiligt und legte eine Klage auf eine Entschädigungszahlung in Höhe von drei Bruttomonatsgehältern ein.

Der Klage wurde stattgegeben, allerdings erhielt der Mann lediglich 1,5 Bruttomonatsentgelte als Entschädigung. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt vor, wenn einem männlichen Bewerber um eine Stelle abgesagt wird mit der Begründung, “unsere sehr kleinen, filigranen Teile sind eher etwas für flinke Frauenhände”. Die unterschiedliche Behandlung war auch nicht wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit zulässig. Folglich trug der Arbeitgeber die volle Darlegungs- und Beweislast dafür, dass keine Benachteiligung wegen des Geschlechts stattgefunden hat. Doch das konnte er naturgemäß nicht beweisen. In der Höhe war eine Entschädigung in Höhe des 1,5-fachen des Bruttomonatsentgelts für die LAG-Richter ausreichend. Denn die Benachteiligung war weder strukturell verfestigt noch von längerer Dauer.

Hinweis: Auch bei der Absage von Bewerbern ist für Arbeitgeber höchste Vorsicht geboten. Es kann nur geraten werden, möglichst keinen Grund für die Absage zu nennen.

Quelle: LAG Nürnberg, Urt. v. 13.12.2022 – 7 Sa 168/22

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(aus: Ausgabe 06/2023)


Widersprüchlicher Arbeitgeber: Wer fristlos kündigt, darf nicht gleichzeitig eine Weiterbeschäftigung anbieten

Spricht der Arbeitgeber eine Kündigung aus, kann er auch danach viele Fehler machen – so wie in diesem Fall, der bis vor das Bundesarbeitsgericht (BAG) ging. Hier wusste der Arbeitgeber offensichtlich nicht, dass eine außerordentliche Kündigung nicht ohne den Verzicht auf die entsprechende Arbeitskraft während des Kündigungsschutzprozesses möglich ist.

Ein Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis mit einem Technischen Leiter per Änderungskündigung fristlos. Stattdessen sollte der Arbeitnehmer fortan als Softwareentwickler mit einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von 3.750 EUR statt der ursprünglichen 5.250 EUR beschäftigt werden. Das Kündigungsschreiben regelte zudem, dass der Arbeitgeber den Beschäftigten sowohl im Fall der Ablehnung der außerordentlichen Kündigung als auch im Fall der Annahme des Angebots zum Arbeitsantritt erwartet. Der Beschäftigte lehnte aber zum einen das Änderungsangebot ab und erschien zum anderen auch nicht zum vorgesehenen Termin zur Arbeit. Das nahm der Arbeitgeber zum Anlass, dem Arbeitnehmer erneut zu kündigen. Darauf reagierte der Arbeitnehmer nicht. Stattdessen zog er bis vor das BAG.

Grund dafür war vor allem, dass er zu diesem Zeitpunkt noch keine neue Arbeit gefunden hatte und sein Arbeitgeber ihm lediglich einen kleinen Teil seines Gehalts weiterzahlte. Damit war der Beschäftigte nicht einverstanden. Er machte geltend, dass sein Arbeitgeber ihm bis zur Aufnahme eines neuen Beschäftigungsverhältnisses sein Gehalt schulde. Darüber hinaus berief sich der Arbeitnehmer darauf, dass eine Weiterbeschäftigung nicht zumutbar sei. Schließlich habe der Arbeitgeber ihm zur Begründung der fristlosen Kündigung in umfangreichen Ausführungen zu Unrecht mannigfaltiges Fehlverhalten vorgeworfen und seine Person herabgewürdigt. Es müsse deshalb davon ausgegangen werden, dass der Arbeitgeber das mit der Änderungskündigung verbundene Angebot nicht ernst gemeint habe.

Das BAG sah das ähnlich und hielt die Kündigungen für unwirksam. Kündigt ein Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis fristlos mit der Begründung, dass ihm die Weiterbeschäftigung bis zum Ende der Kündigungsfrist nicht mehr zuzumuten sei, verhält er sich widersprüchlich, wenn er den Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzprozesses gleichzeitig zu unveränderten Bedingungen weiterbeschäftigt. Denn in einem solchen Fall lässt sich vermuten, dass der Arbeitgeber es mit der Kündigung nicht ernst meinte.

Hinweis: Kündigt der Arbeitgeber also fristlos, führt ein Angebot auf eine Weiterbeschäftigung während des Prozesses meistens zur Unwirksamkeit der Kündigung. Wer also fristlos kündigt, darf nicht gleichzeitig die Weiterbeschäftigung anbieten. Das sollten Arbeitgeber bedenken.

Quelle: BAG, Urt. v. 29.03.2023 – 5 AZR 255/22

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(aus: Ausgabe 06/2023)